Bezahlbares Wohnen

„Der Wohnraum und das Wohnumfeld sollen ein Zuhause sein und den Menschen Heimat bieten. Das heißt zum Beispiel: Das Zusammenwohnen mehrerer Generationen zu ermöglichen und alters- und behindertengerecht zu bauen. Zeitgemäßer Wohnungsbau muss Qualität und Nutzerorientierung aufweisen – und überdies bezahlbar bleiben.“

Wie wenig dieser Appell von NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach (CDU) mit der Realität zu tun hat, zeigt der aus ihrem eigenen Hause stammende Entwurf für eine Reform des Baurechts. Danach gibt es bei Neubauten zukünftig barrierefrei zugängliche Aufzüge erst ab sechs Geschossen. Vorgaben für rollstuhlgerechte Wohnungen fehlen ganz. Die Sozialverbände in NRW haben dazu nur einen Ausdruck: „Absurd“.

Wir haben das Thema „Wohnen“ aufgegriffen und Gespräche mit Fachleuten aus Verwaltung, Wohnungsgesellschaft und –verein geführt. Dabei zeigte sich, dass es in Rheine viele gute Ansätze gibt. Vieles ist aber verbesserungswürdig: Bei der Bauplanung, dem bezahlbaren Wohnraum, einer zeitgemäßen Wohnumfeldgestaltung oder beim ÖPNV.

 

Öffentlich gefördertes Wohnen in Rheine

Ende 2017 gab es in Rheine noch 1.735 geförderte Mietwohnungen. Bis zum Jahr 2030 könnte sich diese Zahl fast halbieren. Bis dahin fallen rund 800 Mietwohnungen aus der Mietpreisbindung. Sie könnten dann zu Preisen angeboten werden, die für die jetzigen Mieter nicht mehr bezahlbar sind.

Nicht nur der drohende Bestandsverlust an preisgünstigen Wohnungen ist also ein Problem, sondern auch die Gefahr von Verdrängung oder gar Obdachlosigkeit bei Geringverdienern.

 

Engpässe

Aber nicht erst in naher Zukunft, schon heute gibt es Engpässe auf dem Wohnungsmarkt: Bei Wohnungen für kleine Haushalte (1-2 Personen) oder für besondere Personengruppen wie Alleinerziehende und ausländische Mitbürger.

Sie haben es besonders schwer, günstige Wohnungen zu finden. So suchten 2017 insgesamt 364 Ein- bzw. Zweipersonenhaushalte eine bezahlbare Bleibe.

 

Wohnbaulandkonzept

Zwei wichtige Instrumente, dieser Probleme Herr zu werden, besitzt die Stadt: Die Bereitstellung preisgünstigen kommunalen Baulands und das vom Stadtrat 1997 beschlossene Wohnbaulandkonzept. Beides unterstützt den Bau mietpreisgebundener und öffentlich geförderter Wohnungen privater Bauherren und Investoren. Ein positiver Nebeneffekt des Instrumentariums: die preisdämpfende Wirkung auf den Wohnungsmarkt.

 

 

Zwei Beispiele

 

Die Wohnungsgesellschaft 

Bürgermeister Dr. Lüttmann: „Rheine braucht dringend preisgebundenen Mietwohnungsbau.“

 

Eigentlicher Akteur am Wohnungsmarkt auf Seiten der Stadt ist die 2003 gegründete Wohnungsgesellschaft Rheine. Als 100% Tochter der Stadt Rheine kümmert sie sich um bezahlbaren, modernen Wohnraum.

„Wir bauen keine „sozialen“ Wohnungen, sondern stehen für geförderten Wohnungsbau, in dem man gut leben kann und in dem auch Nachbarschaften wachsen können“, lautet das Selbstverständnis.

Moderne Wohnungen der Wohnungsgesellschaft.
Foto: Wohnungsgesellschaft

Rund 300 Wohnungen befinden sich im Besitz der Wohnungsgesellschaft – in einem ganz unterschiedlichen Zustand. Übernommen wurde 2003 ein überalterter Wohnungsbestand, der erst einmal modernisiert und instandgehalten werden musste. Darauf folgte der Ersatz nicht mehr sanierbarer Gebäude aus den 50er Jahren durch Neubauten, wie etwa in der Darbrookstraße. Seit 2003 kamen so insgesamt 135 neue Wohnungen hinzu, alle öffentlich gefördert und mietpreisgebunden.

 

Vorteile des Neubaus

Und beim Neubau wird vieles möglich, was im Altbestand kaum machbar war. Ansprechende Architektur zum Beispiel oder energiesparende Maßnahmen. Und, ganz wichtig, Barrierefreiheit – nicht nur für Senioren, sondern auch für Familien mit Kindern. „Wie sonst kommt der Kinderwagen in die obere Etage?“, fragt Geschäftsführer Christoph Isforth.

Die Wohnungsgesellschaft sieht sich in der sozialen Verantwortung für alle Bevölkerungsschichten. Das bezieht Barrierefreiheit genauso ein wie eine ausgewogene Belegung der Wohnungen oder die Versorgung von Obdachlosen. Eine Einrichtung also, auf die eine Stadt von der Größenordnung Rheines nicht verzichten sollte.

 

Der Wohnungsverein

Hubert Scharlau: „Gewinne machen die Mitglieder, nicht die Aktionäre“

 

„Die Turbulenzen der Vergangenheit sind ausgestanden. Die Genossenschaft hat zur alten wirtschaftlichen Stärke zurückgefunden. Hubert Scharlau ist sichtlich zufrieden mit der Entwicklung des Wohnungsvereins.“ Hubert Scharlau, nebenamtlicher Geschäftsverführer des Wohnungsvereins ist sichtlich zufrieden mit der Entwicklung der Rheiner Wohnungsbaugenossenschaft.

Mit 1.900 eigenen und rund 1.000 verwalteten Wohnungen ist der Wohnungsverein heute der größte Player auf dem Rheiner Wohnungsmarkt. Im kaufmännischen Bereich steht sogar der Bestand der städtischen Wohnungsbaugesellschaft unter seiner Regie.

 

Eigener Servicebetrieb

Wesentlichen Anteil an dieser Erfolgsgeschichte hat der eigene Servicebetrieb. Die 55 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus allen benötigten handwerklichen Sparten schaffen die Voraussetzung, dass bei Instandsetzung und Neubau nichts aus dem Ruder läuft. In Zeiten einer boomenden Konjunktur und guter Zinslage, in der private Bauunternehmen und Handwerksbetriebe kaum noch Aufträge annehmen, ist dieser Mitarbeiterstamm Gold wert. Das spüren auch die knapp 2.000 Mitglieder der Genossenschaft, die bei Umbau- und Sanierungsmaßnahmen auf den Servicebetrieb zurückgreifen können. Häufig erspart das lange Wartezeiten und ist in aller Regel auch kostengünstiger.

 

Faire Mieten und hohe Wohnsicherheit

„Das Wohnen in Genossenschaften gewinnt mit den fairen Mieten und hoher Wohnsicherheit im derzeit überhitzten Wohnungsmarkt weiterhin an Bedeutung“, verweist Scharlau auf die Vorteile des genossenschaftlichen Wohnungsbaus. So lagen Ende 2016 nach Angaben des Bundesverbandes deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW) die Nettokaltmieten bei Genossenschaftswohnungen im Bundesdurchschnitt bei 5,36 Euro pro qm und damit deutlich unter dem Durchschnitt der bundesweiten Bestandsmieten von bei 5,71 Euro.

 

Grundprinzipien

Zu verdanken ist dieser Mietvorteil nicht zuletzt den Grundprinzipien einer Genossenschaft: Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung. Ziel ist nicht die Gewinnmaximierung, sondern „eine gute, sichere und sozial verantwortbare Wohnungsversorgung“ der Mitglieder. Eigenbedarfskündigungen wie auf dem freien Wohnungsmarkt gibt es hier nicht.

Der soziale Anspruch schlägt sich auch nieder in der demokratischen Entscheidungsstruktur: Durch den Erwerb von Genossenschaftsanteilen werden Mitglieder zu Miteigentümern, die das Sagen haben. Jede Stimme – und jedes Mitglied hat nur eine Stimme – hat das gleiche Gewicht. Somit entscheiden die Mitglieder selbst, wie das Wohnen aussieht. Und wie sich Nachbarschaft gestaltet. Oder wie ausgeprägt die Unterstützung für die alte Dame oder die junge Familie von nebenan ist.

 

Öffentlich gefördert

Seit 4 Jahren ist der Wohnungsverein wieder im öffentlich geförderten Wohnbau aktiv. Bis 2014 lohnte sich das nicht, da die Konditionen auf dem freien Markt günstiger waren. Das änderte sich 2015, als der Verein aufgrund geänderter Rahmenbedingungen seinen Wohnungsbau je zur Hälfte öffentlich bzw. frei finanzierte. Und der öffentlich geförderte Anteil wächst weiter, denn, so Scharlau: „Eine gut durchmischte Belegung, die soziale und ökologische Bedürfnisse berücksichtigt, fördert die Zufriedenheit im Quartier.“

Also alles in bester Ordnung? – „Natürlich haben auch wir mit Problemen zu kämpfen“, stellt Hubert Scharlau fest. So wünscht er sich eine bessere Anbindung des neuen Standorts des Wohnungsvereins im Gewerbegebiet Rheine R an den öffentlichen Personennahverkehr. Und auf den Prüfstand gehören seiner Ansicht nach auch gesetzliche Auflagen etwa bei der Stellplatzfrage oder der Bereitstellung rollstuhlgerechter Wohnungen. „Barrierefreiheit und energiesparende Maßnahmen sind für uns eine Selbstverständlichkeit. Aber einige der geltenden Standards bedürfen dringend einer Anpassung an das technisch und wirtschaftlich Machbare.“

 

Ein Vergleich

Vergleicht man Zielsetzung und Anspruch von städtischer Wohnungsgesellschaft und genossenschaftlich organisiertem Wohnungsverein, so wird deutlich: Hier wie dort geht es um die Versorgung einkommensschwächerer Mieter mit preisgünstigem und trotzdem zeitgemäßem Wohnraum. Da spielt Barrierefreiheit genauso eine Rolle wie eine ausgewogene, gut „durchmischte“ Belegung der Wohnungen. Und städtebauliche Qualität hat den gleichen Stellenwert, wie das soziale Miteinander im Wohnquartier.

Der entscheidende Unterschied: Letztlich ist der Mieter im genossenschaftlichen Wohnungsverein auch Miteigentümer, was ihm ein Mitspracherecht und in den meisten Fällen auch ein lebenslanges Wohnrecht garantiert.

 

Vorbild Wettringen?

Während in Rheine die Wohnungsgesellschaft für die Stadt bei der Schaffung von Wohnraum das Sagen hat, tritt in Wettringen die Kommune selbst als Bauherr auf und stellt so die Finanzierung des Wohnungsbaus für alle Bevölkerungsgruppen sicher. Aber es geht in Wettringen nicht allein um die dringend nötige Bereitstellung von Wohnraum. „Wir bauen verschiedenste Wohnungen“, sagt Bürgermeister Bültgerds, „kleine und große, für Singles, für Gering- und Besserverdienende.“ Und diese Strategie rechnet sich in Wettringen, denn die Kommune erzielt Gewinne, die Spielräume im kommunalen Haushalt für andere Projekte eröffnen.  Es könnte deshalb auch für die Stadt Rheine eine Option sein, am Wohnungsmarkt aktiver zu werden und die zu erzielenden Gewinne nicht ausschließlich privaten Investoren zu überlassen.

 

 

 

 

In Rheine fehlen immer noch Bebauungspläne

Stellen Sie sich mal vor

Sie sitzen im Sommer im Garten ihres Eigenheims auf der Terrasse, trinken nachmittags eine Tasse Kaffee, essen ein Stück Kuchen. Ihre Kinder oder Enkelkinder spielen auf dem Rasen und sie genießen die Ruhe. Zeitsprung: Jetzt stellen sie sich vor, wie sie im Sommer im Garten ihres Eigenheims auf der Terrasse sitzen und die Nachbarn des Zehnfamilienhauses, das anstatt des alten Nachbarhauses gebaut worden ist, sehen ihnen dabei zu.

 

In ihrem Viertel unmöglich, denken Sie?

Leider nein!

Beispiel Riegelstraße: Dem Abriss alter Gebäude folgt der Bau von Mehrfamilienhäusern

Aufgrund fehlender Bebauungspläne ist dieses Szenario sehr wohl möglich, denn im gesamten Stadtgebiet von Rheine existieren viele Wohngebiete, für die kein Bebauungsplan aufgestellt ist. Das ist grundsätzlich nicht weiter schlimm, gäbe es nicht Investoren, die Baulücken in genau diesen Baugebieten mit den maximal möglichen Baukörpern bebauen.

An Recht und Gesetz muss sich jeder halten. Aber wenn ein Bebauungsplan fehlt, kann das weit ausgedehnt werden. So kann es möglich sein, dass ein Zehnfamilienhaus in Nachbarschaft zu Einfamilienhäusern gebaut werden darf, wo zuvor ein in die Jahre gekommenes Nachbarhaus abgerissen wurde.

 

Nachverdichtung? Ja, aber nicht ungebremst

Bebauungspläne regeln die Größe der erlaubten Bebauung. Festgelegt werden Geschosshöhen, Anzahl der Wohnungen pro Gebäude oder etwa Baugrenzen. Bebauungspläne sorgen für den Interessenausgleich zwischen Nachverdichtung und vorhandenen, gewachsenen Strukturen. Sie legen für neue Bauvorhaben den verbindlichen, im Rat der Stadt beratenen, rechtlichen Rahmen fest.

Nachverdichtung von Stadtbebauung ist nötig, denn die Ressource Boden ist begrenzt. Städte können sich nicht uferlos ausdehnen. Grün- und Landwirtschaftsflächen oder Waldgebiete sind für die Artenvielfalt überlebenswichtig. Und: viele Grundstücke mit einer Einfamilienhausbebauung aus den 50er und 60er Jahren sind so groß, dass mühelos zwei Häuser darauf stehen könnten.

Neben den Ein- oder Zweifamilienhäusern werden heute vor allem kleine Wohnungen für Singles oder Senioren gebraucht. Und sie sollten nicht etwa auf der grünen Wiese, sondern in den Vierteln entstehen, in denen die Menschen verwurzelt sind. Es ist also wichtig, auch diese Interessen in Bebauungsplänen zu berücksichtigen.

 

Auf die lange Bank geschoben wäre zu spät für viele Baugebiete!

Aufgrund Personalmangels in der Bauverwaltung war es bisher nicht möglich, für alle Gebiete in der Stadt einen Bebauungsplan aufzustellen. Deshalb wollten wir in einer Prioritätenliste festlegen, dass die Verwaltung die Innenstadt nahen Gebiete zuerst bearbeitet. Dort ist das Interesse der Investoren, Grundstücke mit vielen Wohneinheiten zu bauen am größten. Doch die CDU geführte Ratsmehrheit war lange dagegen. Sie war der Meinung, die Bebauungspläne könnten aufgestellt werden, wann immer sich Zeit dafür fände.

Protestierende Bürger und die Ausmaße von geplanten Bauvorhaben haben die CDU schließlich zum Umdenken bewogen. Die Mehrheit des Rates hat endlich die dringend nötigen zusätzlichen Stellen in der Bauverwaltung beschlossen. Nun können zügig Bebauungspläne aufgestellt werden, die eine Nachverdichtung erlauben, dabei aber die gewachsenen Strukturen der Viertel berücksichtigen.

 

Es kann also endlich los gehen!

Beispiel Sutrumer Straße: Dieses Einfamilienhaus wird abgerissen. An seiner Stelle ist ein Zehnfamilienhaus geplant.

Zunächst wird nun das Gebiet rund um das Mathias-Spital bearbeitet. In diesem von Einfamilienhäusern geprägten Wohngebiet kommt es zu enormen Parkplatzproblemen. Neue Mehrfamilienwohnhäuser würden die Situation zusätzlich verschlimmern. Nun wird im Rat der Stadt also darüber beraten wo im Stadtteil eine verträgliche Nachverdichtung möglich ist oder wo darauf auch wegen des zusätzlichen Parkdruckes verzichtet werden muss.

Es ist Licht am Ende des Tunnels zu erkennen. Es kann nur besser werden.