Für die einen ist der Straßenausbau ein Segen, für die anderen ein Fluch
Gut ausgebaute Straßen sind ein Glücksfall für die Verkehrsteilnehmer, sie bieten Verkehrsberuhigung, Rad- und Fußwege, ausgezeichnete Lichtanlagen und Parkraum. Der Weg dahin jedoch verlangt den Anliegern einiges ab. Straßenausbau macht Lärm und Dreck, ist ein Verkehrshindernis, geschäftsschädigend und nervig.

Vor allem aber sind sie teuer für die Stadt und für die Anlieger. Verteilt werden die Kosten für den Ausbau von Straßen aufgrund einer städtischen Satzung, die sich auf das Kommunalabgabengesetz Nordrhein-Westfalens bezieht. Dort ist detailliert aufgeführt, in welcher Höhe die Anlieger einer Straße für eine Kostenbeteiligung herangezogen werden dürfen. Je nachdem, um welche Art der Straße es sich handelt und wie umfassend der Ausbau ausfallen soll, können die Kosten für die Anlieger erheblich sein.
Ein Vorteil nur für Anlieger?
Die Kosten für den Ausbau des Straßennetzes einer Stadt sind hoch. Aber nur Anlieger müssen für den Ausbau der Straße vor ihrer Haustür zahlen. Warum eigentlich nur sie und nicht alle, die sie benutzen? Weil die Anlieger einen „besonderen Vorteil“ vom Ausbau haben, urteilen die Verwaltungsgerichte. Es gilt das Äquivalenzprinzip, wonach derjenige, der einen konkreten wirtschaftlichen Vorteil von einer städtischen Leistung hat, zur Beitragszahlung herangezogen wird.
Da reibt sich so mancher Anlieger die Augen: einen „Vorteil“ durch den Ausbau der einst so idyllisch gelegenen Straße am Stadtrand? Zuerst Lärm und Dreck, dann viel Verkehr auf der breit ausgebauten Straße vor dem eigenen Haus. Alles nicht gewünscht und doch ein Vorteil? Das ist schwer zu verstehen, doch die Rechtsprechung unterstellt einen Vorteil der Anlieger, weil sie den guten Ausbau der Straße mit Verbesserungen wie neuen Ampelanlagen, Radwegen oder breiteren Fahrbahnen nutzen könnten. Dabei ist es völlig unerheblich, ob sie den Ausbau in dem geplanten Umfang wollen.
Ungerechte Belastung
Und doch, die Lasten des Straßenausbaus und seine Finanzierung sind nach heutiger Rechtslage ungerecht verteilt. Diejenigen, die sowieso schon Lärm und Gestank des immer höher werdenden Verkehrsaufkommens ertragen müssen, tragen zumeist auch die ausufernden Kosten für den nötigen Ausbau der Straßen mit. Andere wohnen ruhig in kleinen, etwas abseits gelegenen Straßen und werden vermutlich niemals vom Straßenausbau betroffen sein. Doch auch sie benutzen die Straßen, von deren Ausbau angeblich nur die Anlieger einen besonderen Vorteil haben.

Die Empörung über die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte, die diesen besonderen Vorteil trotzdem nur für die Anlieger und nicht für alle Verkehrsteilnehmer wenigstens eines Stadtteils annimmt, ist groß. Zu Recht, meinen wir, denn vor vielen Jahren haben die Anlieger den Erstausbau „ihrer“ Straße zu 90 % finanziert. Damit haben sie bereits einen erheblichen Beitrag für den Ausbau des städtischen Straßennetzes geleistet. Nun nutzen alle Einwohner der Stadt diese Straße seit 30 oder mehr Jahren und tragen zu deren Verschleiß bei. Für uns ist die Argumentation der Rechtsprechung, durch den Ausbau einen besonderen Vorteil ausschließlich für die Anlieger anzunehmen, an den Haaren herbeigezogen.
Wenn nicht so, wie denn dann?
Gerechter ginge es zu, wenn alle Verkehrsteilnehmer zur Finanzierung des Straßenausbaus herangezogen würden. Das geht am einfachsten über die Steuerfinanzierung, wie Baden-Württemberg sie für seine Kommunen zulässt und wie sie in den Städten Hamburg und Berlin praktiziert wird. Vieles, was wir heute an Verwaltungsaufwand treiben müssen, fiele danach weg: die aufwendige Berechnung der Bescheide, Bürgerversammlungen und Verwaltungsklagen. Wenn man dazu noch annähme, dass ein umfassendes Budget „Straßen“ die Verwaltungen in die Lage versetzen würde, Sanierungen und Ausbauten mit verlässlichen Finanzmitteln langfristig zu planen, würde es uns nicht wundern, wenn bei einer Finanzierung des Straßenausbaus über Steuern sogar gespart würde. Bundes-, Landes- und Kreisstraßen werden seit langem aus Steuermitteln finanziert, ohne die Anlieger extra zur Kasse zu bitten.
Ein anderes Modell, die Straßenausbaubeiträge gerechter zu verteilen, sind die „wiederkehrenden Beiträge“. Hierfür wird der Straßenausbaubedarf eines zusammenhängenden Stadtgebietes für einen Zeitraum von mehreren Jahren festgelegt. Je nach Grundstücksgröße wird danach für die Anlieger des gesamten Stadtgebietes deren jährliche Beteiligung an den Kosten der Baumaßnahmen errechnet. Dieser jährlich „wiederkehrende Beitrag“ ist wegen der vielen Einzahler jedoch sehr viel geringer als der „einmalige Beitrag“, den die Satzung der Stadt zurzeit zulässt.
Die „wiederkehrenden Beiträge“ verteilen die Lasten des Straßenausbaus sehr viel gleichmäßiger auf alle anzunehmenden tatsächlichen Nutzer der Straßen. Hier kann man wirklich sagen, diejenigen, die für die Straßenausbaumaßnahmen zahlen, haben auch einen tatsächlichen Vorteil, nämlich den guten Zustand des Netzes von Straßen, durch die sie auf dem Weg zur Arbeit, zum Einkaufen oder in Schule und Kita fahren. Weitere Vorteile sind auch hier kalkulierbare Einnahmen der Kommunen, Planungssicherheit und auf Seiten der Bürger die Berechenbarkeit der Beitragshöhe. Die wiederkehrenden Beiträge gibt es inzwischen in Bayern, Hessen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Saarland, Niedersachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt. In Nordrhein-Westfalen prüft die Landesregierung deren Einführung. Erst danach könnte die Stadt Rheine sie in einer Satzung für die Stadt übernehmen.
Doch es gibt auch Einwände gegen die wiederkehrenden Beiträge: Es könnte sein, dass im Laufe der Zeit die Straßenbauarbeiten im weiteren Umfeld nicht mehr mit den jährlichen Beiträgen in Zusammenhang gebracht werden und sie deshalb schließlich als eine Art Sondersteuer angesehen werden würden. Außerdem spricht ein erheblicher Verwaltungsaufwand gegen die Einführung: Straßenzüge müssten zusammengefasst werden, Grundstücksgrößen ins Verhältnis zu den anfallenden Kosten gesetzt und Bescheide verschickt werden. Auch mit Klagen gegen die Beitragshöhe müsste vermutlich weiterhin gerechnet werden. Würden wir dagegen den Straßenausbau aus Steuern finanzieren, würden die Bürger an der Finanzierung beteiligt, der Aufwand für die Stadt wäre jedoch deutlich geringer.
In anderen Bundesländern wurde das Kommunalabgabengesetz nach Protesten der Bürger geändert. Auch in Nordrhein-Westfalen sollte die Finanzierung des Straßenausbaus aus Steuermitteln möglich sein. Wir haben deshalb im Rat der Stadt eine Resolution beantragt, durch die die Landesregierung und den Landtag vom Rat der Stadt Rheine aufgefordert werden, das Kommunalabgabengesetz zu ändern.
Am 10. Juli 2017 hat der Rat der Stadt die Resolution mit den Stimmen von CDU, Grünen, Linke, UWG und SPD beschlossen und Bürgermeister Dr. Lüttmann aufgefordert, die Position des Rates zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes zu vertreten:
Resolution des Rates der Stadt Rheine zur Änderung des § 8 Kommunalabgabengesetz Nordrhein-Westfalen (KAG NW)
Der Rat der Stadt Rheine fordert die Landesregierung und den Landtag Nordrhein-Westfalens auf,
- die Beitragspflicht gem. § 8 KAG NW für Straßenbaumaßnahmen abzuschaffen.
- die Finanzierung des Straßenausbaus der Gemeinden und Kommunen durch Steuern zuzulassen.
Begründung
Das Kommunalabgabengesetz, § 8 KAG NW, schreibt den Gemeinden und Kommunen in Nordrhein-Westfalen zwingend vor, zur Finanzierung des Straßenausbaus Beiträge von den Anliegern zu erheben.
Diese Erhebungspraxis führt in den Gemeinden und Kommunen immer häufiger zu Konflikten.
Die Beitragserhebung stellt auf den besonderen Vorteil für die Anlieger aufgrund deren räumlicher Nähe zur Baumaßnahme ab. Die Kostenbeteiligung wird mit dem höheren Gebrauchswert der Grundstücke begründet. Umgekehrt unterstellt diese Erhebungspraxis, dass die Bewohner benachbarter Straßen durch die Baumaßnahme keinen besonderen Vorteil erlangen, demnach also auch nicht beitragspflichtig sind. Tatsächlich nutzen jedoch auch sie die Fahrbahnen, Parkplätze, Fuß- und Radwege oder Ampelanlagen der ausgebauten Straße bei der Durchfahrt zu ihren Häusern, zum Einkaufen oder als Schulweg. Die anteilige Finanzierung der Baumaßnahme durch die Anlieger wird deshalb von diesen als willkürlich und ungerecht empfunden.
Die Straßenausbaubeiträge der Anlieger können erheblich sein. Junge Familien, Geringverdiener oder Ältere können sich selbst eine Kreditfinanzierung nicht leisten. Für sie ist die Beitrags-Erhebungspraxis der Gemeinden und Kommunen in Nordrhein-Westfalen existenzgefährdend.
Die Straßen der Gemeinden und Kommunen sind öffentliche Einrichtungen. Deren Verbesserung und Ausbau sind Teil der Daseinsvorsorge des Staates. Straßenausbaumaßnahmen der Gemeinden und Kommunen sollten deshalb ebenso aus Steuermitteln finanziert werden, wie dies bei Bundes-, Landes- und Kreisstraßen geschieht.
Eine Finanzierung des Straßenausbaus aus Steuermitteln würde Konflikte in Gemeinden und Kommunen verhindern, die Lasten des Straßenausbaus gerecht verteilen, die Planbarkeit der Straßenausbaumaßnahmen für die Gemeinden und Kommunen verbessern, den Verwaltungsaufwand senken und Rechtssicherheit für Bürger und Gemeinden oder Kommunen schaffen.
Die Bundesländer Schleswig-Holstein, Baden-Württemberg, Hamburg und die Stadt Berlin etwa lassen die Steuerfinanzierung des Straßenausbaus zu. Andere Bundesländer planen entsprechende Regelungen.
Erstausbau- Rechtssicherheit für Anlieger
Zeppelinstraße – Jahrzehnte alt und doch nie fertig gebaut
Dass die Zeppelinstraße in die Jahre gekommen ist und dringend saniert werden muss, ist nicht zu übersehen. Ein Schlagloch reiht sich ans andere, der Asphalt bröckelt und die Seitenstreifen sind nicht ausreichend befestigt. Nebenan ist ein großes neues Baugebiet entstanden und auf der neu bebauten Seite der Straße sind die Häuser mittlerweile fertiggestellt. Zeit für die Stadt also, die Straße anzugehen.

Doch mit den Bescheiden über die Höhe ihrer Beiträge erleben die Alt-Anlieger eine Überraschung: zu zahlen sind „Ersterschließungsbeiträge“ heißt es da. Die Stadt verlangt von ihnen die Erstattung für den Anschluss der Grundstücke an das Versorgungsnetz und die endgültige Herstellung der Straße. Nach jahrzehntelangem Gebrauch soll die Straße demnach also noch nie betriebsfertig gestellt worden sein. Kann das sein?
Für die Erhebung von Ersterschließungsbeiträgen nach Bundesbaurecht ist es nicht entscheidend, wie lange es eine Straße schon gibt. Entscheidend ist allein, ob sie je fertig ausgebaut wurde. Was für den Erstausbau nötig ist, legt eine städtische Satzung fest. Dort findet sich auch, wann er abgeschlossen ist. Bei der Zeppelinstraße hat ein vollständiger Erstausbau trotz jahrelangem Gebrauchs nie stattgefunden.
Die Unterscheidung „Ersterschließung“ ist gegenüber „Straßenausbau“ für Anlieger und Verwaltung entscheidend, denn danach errechnen sich die jeweils anteiligen Beiträge. Während die Anlieger beim Straßenausbau je nach Art der Straße zwischen 30% und 70 % zahlen müssen, wird bei der Ersterschließung einer Straße nach Bundesbaurecht von den Anliegern schlicht ein Anteil von 90% verlangt. Ausnahmen sind nur erlaubt, wenn im Einzelfall „öffentliches Interesse“ oder „unbillige Härte“ eine Reduzierung rechtfertigen.
Wenn für neue Baugebiete Straßen angelegt werden, ist es richtig, die Anlieger daran zu beteiligen, schließlich werden sie gebaut, um die neuen Grundstücke an das Straßennetz anzuschließen. Doch während die Grundstückseigentümer in Neubaugebieten die Kosten der Ersterschließung erwarten und sie in die Baukosten einplanen, erleben die Käufer alter Häuser an historischen Straßen eine böse Überraschung, wenn sie Bescheide über eine Ersterschließung bekommen. Der Gesetzgeber sollte deshalb Rechtssicherheit schaffen und den Städten und Gemeinden eine Frist vorgeben, in der Straßen nach Bundesbaurecht spätestens ersterschlossen werden müssen. Lassen die Kommunen diese Frist verstreichen ohne endgültig auszubauen, müsste bei einem späteren Ausbau der Straße das Kommunalabgabengesetz herangezogen werden. Diese Ausbaukosten müssen von Anliegern immer in Betracht gezogen werden. Die Beiträge fielen für die Anlieger einer Haupterschließungsstraße, wie der Zeppelinstraße, jedoch deutlich geringer aus.
Eine Frist für den Erstausbau einer Straße sieht das Bundesbaurecht bislang nicht vor. Die Beiträge der Anlieger der Zeppelinstraße wurden trotzdem gesenkt: einem hinzugezogenen Rechtsgutachter schienen sie unverhältnismäßig hoch. Deshalb hat die Stadt die Beiträge wegen „unbilliger Härte“ den sonst üblichen Ersterschließungsbeiträgen im Stadtgebiet angepasst. Unsere Fraktion im Rat hat dieser Regelung zugestimmt. In diesem besonderen Fall der Zeppelinstraße ist der Erstausbau auch deshalb so umfangreich, weil der Verkehr eines ganzen neuen Wohngebietes aufgenommen werden muss. Hier gibt es ein öffentliches Interesse am Ausbau, das eine höhere Beteiligung der Allgemeinheit an den Kosten rechtfertigt.